Deissmann.Info

Einführung
zur Person Adolf Deissmann

Adolf Deissmann, Theologe, wur­de am 7. November 1866 in Langenscheid / Lahn geboren. Er verstarb 1937 in seinem „Haus Anatolia“ in Wünsdorf im Süden Berlins. Bekannt ist Deissmann wegen seiner neutestamentlichen Beiträge. Weitgehend unerforscht aber meines Erachtens ebenso wichtig ist die Bedeutung Deissmanns für die Ökumene.

Adolf Deissmann - Wegbereiter der Ökumene

I. Zur Person Adolf Deissmanns
   1. Anfangsdaten
   2. Auseinandersetzung mit dem Vater
   3. Über die Mutter Begegnung mit dem Luthertum
   4. Kulturkampf
II. Theologisches Umfeld
   1. Theologischer Werdegang und Neues Testament
   2. Religionsgeschichtliche Schule
   3. Ökumene
   4. Kriegsschuldfrage und politisches Engagement
   5. Allgemeine Konferenz der Kirche Christi für
         praktisches Christentum (Life and Work)
   6. Die letzten Jahre
III. Forschungsstand
IV. Grundfragen
   1. Deissmann und die Stockholmbewegung
   2. Deissmann als liberaler Theologe
   3. Deissmann als (Kirchen-)Politiker

Anfangsdaten
Sowohl väterlicher- wie auch mütterlicherseits stammt Adolf Deissmann aus alten Theologenfamilien. Geboren wur­de er am 7. November 1866 in Langenscheid / Lahn. Aufgewachsen ist er dort und ab 1874 in der ka­tho­lischen Diaspora des Mittelrheins in Erbach, als sein Vater die Leitung der dortigen Realschule übernahm. Von 1879 bis 1885 besuchte Deissmann das königliche Gymnasium in Wiesbaden, wo durch seinen Konfir­mator, Kon­sistorialrat Ohly, sein Interesse für die Philologie geweckt wurde.

Auseinandersetzung mit dem Vater
Der Vater war theologisch klar konservativ geprägt durch u.a. Tholuck und Nebe, die auch sein Interesse für die nassauische kirchliche Vergangenheit geweckt hatten. Allerdings trat er anderen Gruppen in Arbeitsgemeinschaften wie dem Gustav-Adolf-Verein offen gegenüber. "In den inner­kirchlichen Kämpfen stand mein Vater entschieden rechts."

Über die Mutter Begegnung mit dem Luthertum
Die Familie der Mutter stammt aus pietistischem Umfeld und brachte Deissmann früh mit all­täglich ge­leb­ter praktischer Frömmigkeit in Kontakt. Sie nahm ihn auch mit zu den Predigten des Pfarrers Zülch in der Nachbargemeinde in Eltville, einer Gemeinde der hessischen Renitenz. Er selber schreibt darüber: "hier lernten wir ein charaktervolles Luthertum kennen, ohne zu wissen, daß es Luther­tum war und daß wir Erbacher eigentlich uniert waren."

Kulturkampf
Deissmanns Kinderzeit war nicht nur durch die Besuche der Mutter in der lutherischen Nachbargemeinde ge­prägt, sondern auch durch den sehr offenen Umgang des Vaters mit den katholischen Amts­kollegen vor Ort. In diesem ungetrübten Verhältnis zum Katholizismus mag man auch den Grund­stein für Deissmanns späteres Interesse an ökumenischen Fragen finden. Die Anfänge des Kulturkampfes spielten sich in Deissmanns Realschulzeit ab. Sein Va­ter wurde durch die Diaspora-Situation zu­nehmend in konfessionelle Fehden verwickelt.

Theologisches Umfeld

Theologischer Werdegang und Neues Testament
Von 1885-88 hat Deissmann entgegen seines eigenen Interesses für die Philologie um seines Vaters willen in Tübingen u.a. beim Alttestamentler Kautzsch Theologie studiert und kam in Kon­takt mit der Theologie Ritschls.
Für das Sommersemester 1888 wechselte Deissmann an die Berliner Fakultät, wo er den Neu­testa­mentler Weiß und die systematischen Theologen Kaftan und Pfleiderer hörte, bevor er für das Kandidaten-Examen nach Herborn in Hessen zurückkehrte. 1890 folgte das zweite theo­logische Examen in Wiesbaden und das Vikariat in Dausenau an der Lahn bei Pfarrer Müller.
1891 kam Deissmann nach Marburg zunächst nur zur Licentiaten-Promotion beim Neutesta­mentler Heinrici über die Formel "in Christo Jesu." Es folgte daraus 1892 auch die Habilitation. Ge­fördert wurde er dort durch den Austausch mit Jülicher, Wellhausen, Herrmann u.a.
Vor allem der Kontakt zu Mommsen in Frankfurt aber eröffnete Deissmann den Blick für philologische Kleinarbeit und den Umgang mit der Sprache des Neuen Testaments. Aus seiner Beschäftigung mit den neu entdeckten Inschriften, Ostraka und Papyri entstammen seine "Bibelstudien" 1895 und "Neuen Bibelstudien" 1897. Er erbrachte damit den Nachweis, daß das Neue Testament nicht in einem eigenständigen "Bibelgriechisch, "sondern in der Allgemeinsprache des Hellenismus ge­halten war. Über die Formel "in Christo Jesu" beginnt auch Deissmanns Beschäftigung mit Paulus.

Religionsgeschichtliche Schule
Nach der theologischen Ausbildung war Deissmann ab 1895 als Dozent am Predigerseminar in Herborn tätig. Dazu gehörte die pfarramt­liche Versorgung von drei Dörfern im Umfeld. Der Ge­meindealltag verändert nun auch sein Bild paulinischer Frömmigkeit und schärft seine Wahr­nehmung für die empirische Religion als einer "zunächst nicht theoretischen, sondern praktischen Angelegenheit."
Umgekehrt wird Deissmanns wissen­schaft­liches Interesse an der Religion stärker, so daß er 1897 einem Ruf auf den neutestament­lichen Lehrstuhl der Heidelberger Universität folgt. In der Heidelberger Zeit entsteht u.a. "Licht vom Osten" 1908. Hier begegnet er Troeltsch, mit dem ihn schnell eine lang­währende Freund­schaft verbindet. Wissenschaftlich scheiden sie sich jedoch an der kult­ge­schichtlichen Be­trachtung des Urchristentums. Mit ihm und anderen trifft Deissmann sich ab 1904 im Kollegen­kreis, dem von ihm initiierten "Eranos," zur Behandlung religionswissenschaftlicher Fra­gen. Eingeladen sind neben anderen auch Weber und Windelband. Weber begegnet er dane­ben auch im Heidelberger Nationalsozialen Verein.
Als liberaler Wunschkandidat Seebergs, Weiß’ und Kaftans wird er 1908 unter Diskussionen insbesondere gerade durch Seeberg über sein Engagement im Nationalsozialen Verein nach Berlin berufen.

Ökumene
1910 schließt Deissmann bei einem Besuch in Uppsala für einen Vortrag über Paulus Freundschaft mit Söderblom. Sein "Paulus" erscheint 1911. In den Kriegsjahren begründet er die "Evangelischen Wochenbriefe" in verschiedenen Umfängen an "neutrale Glaubensgenossen" "als einen Dienst an der Verständigung unter den Völkern und an der Stärkung der christlichen Solidarität", die bis 1921 weite Teile seine Schaf­fenskraft binden, so daß er auch die Arbeit am Wörterbuch zum Neuen Testament zurück­stellte (das er schließlich gar nicht mehr vervollständigt hat). Auch mit dem amerikanischen Theologen und Generalsekretär der "Federal Council of the Churches of Christ in America", MacFarland, stand Deissmann in intensivem Kontakt gerade in der Frage nach einer möglichen kirchlichen Zusammenarbeit nach Kriegsende. Über die Wochenbriefe und Siegmund-Schultze nimmt auch der Erzbischof von Canterbury Kontakt zu Deissmann auf. Statt dem Ruf nach Wiesbaden als Landesbischof von Nassau Folge zu leisten, läßt sich Deissmann noch einen Lehrauftrag für protestantisches Pressewesen im Sinne angelsächsischer kirchlicher Presse­arbeit.

Kriegsschuldfrage und politisches Engagement
Daneben entbrennt die Auseinandersetzung mit dem französischen Theologen Monod über die Frage nach der Kriegsschuld, die auch das weitere Verhältnis der französischen und deutschen Delegationen auf den ökumenischen Konferenzen beeinträchtigen wird. Deissmann selber ist - obwohl strikter Gegner des Vertrages von Versailles - bereit, eine deutsche Schuld am Ausbruch des Krieges einzugestehen.
Bis auf sein Bekenntnis zur Weimarer Reichsverfassung hat Deissmann jedoch später auf aktive politische Äußerungen verzichtet, um seine ökumenische Position nicht zu gefährden. Er spricht sich lediglich gegen das Parteienwesen aus, in der Politik wie auch in der Kirchenpolitik. Später setzt er sich auf der einen Seite mit seiner Unterschrift unter das Marburger Gutachten gegen die Einführung des kirchlichen Arierparagraphens ein, kann auf der anderen Seite aber mit der Theo­logie Barths und dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus nicht viel anfangen.

Allgemeine Konferenz der Kirche Christi für praktisches Christentum (Life and Work)
Schon 1917 fassen Deissmann und Söderblom eine internationale Konferenz führender Theo­logen ins Auge, die aber zunächst am Widerstand Englands scheitert und schließlich ohne englische und deutsche Beteiligung stattfindet. Erst für 1925 wird eine große gemeinsame Kon­ferenz in Stock­holm geplant. Anliegen ist, neben dem eher formalen Kontakt im "Weltbund für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen" (1914, Siegmund-Schultze und Söderblom) und neben Kircheneinheit fördernden ökumenischen Bestrebungen nach der Bewegung "Faith and Order" (Lausanne 1927, durch Brent angestoßen nach den internationalen Missions­konferenzen) das gemeinsame christliche Zeugnis ethisch im alltäglichen Dienst Praxis werden zu lassen. Es ging darum, eine gemein­same Basis ethischer Über­zeugungen auf der Grundlage der je eigenen Glaubens­über­zeugungen zu schaffen und aus den christlichen Grund­einsichten folgend "Ge­staltungs­maximen gesellschaftlichen Zusammenlebens in per­sonalen, lokalen, regionalen und glo­balen Kontexten" abzuleiten.
Die Vorbereitungen zur Weltkonferenz beginnen schon vor 1920 mit Überlegungen zum Ort, zur Organisation und Größe der Konferenz in unter­schiedlich zusammengesetzten Komitees. Auf der Konferenz selbst sollen Vertreter aus vier inter­nationalen Klassen Ergebnisse zu Kernfragen ethischer praktischer Handlungsmöglichkeiten der einzelnen Kirchen referieren. Beteiligt sind neben den europäischen und nordamerikanischen Kirchen auch Vertreter der orthodoxen sowie einzelne Gäste asiatischer Kirchen. Die deutsche Delegation umfaßt etwa 70 Personen, darunter Deissmann und Siegmund-Schultze. Nicht teilgenommen haben Vertreter von katholischer Seite.
Der über die Konferenz von Deissmann 1926 verfaßte "amtliche deutsche Bericht" fand in seiner ein Jahr später erschienen Schrift "die Stockholm-Bewegung" ein persönliches Resümee.

Die letzten Jahre
An der Berliner Fakultät war Deissmann Anfang der 30er Jahre auch Rektor, bevor er 1935 emeritiert wurde und bis zuletzt veröffentlichend ("Una Sancta" 1936) 1937 in seinem "Haus Anatolia" in Wünsdorf im Süden Berlins verstarb.

Forschungsstand Nachrufe nach Deissmanns Tod von Freunden wie auch Schülern befaßten sich nahezu aus­schließlich mit der Würdigung seiner neutestamentlichen Forschung und archäologischen Reisen in die Türkei. Dabei tritt insbesondere die Einordnung des biblischen Griechisch ins Koine-Griechisch in den Mittelpunkt. Bis weit in die 60er Jahre hinein wird die Beschäftigung mit Deissmann auf seine neutestamentlichen Beiträge reduziert. Die Bedeutung Deissmanns für die Ökumene ist weitgehend unerforscht.
Eine Würdigung des Gesamtwerkes hat Plümacher angeregt, indem er auf den desolaten Zu­stand des Nachlasses in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin hinwies. Stimmen in dieser Richtung kommen auch aus anderen Richtungen, Nottmeier veröffentlichte Entsprechendes in den Mitteilungen der Ernst-Troeltsch-Gesellschaft.
Der Zustand des Nachlasses in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin ist sehr schlecht. In den kommenden Jahren wird keine weitere Beschäftigung mit den Schriften mehr möglich sein, obwohl auf Veranlassung von Deissmanns Sohn mit der Reinigung und Konservierung noch in diesem Jahr (2005) begonnen werden soll. Weite Teile des Nachlasses liegen in Schweden und England, geringere Bestände finden sich an den Fakultäten in Heidelberg und Marburg. Bei Deissmanns Sohn sind fast ausschließlich die Tagebücher Deissmanns verblieben.

Grundfragen

Deissmann und die Stockholmbewegung
Für die Ökumene besonders fruchtbar zu machen ist die Differenzierung zwischen den ökume­nischen Bewegungen "Faith and Order" und "Life and Work." Die unterschiedlichen Anliegen beider und die Person Deissmanns verknüpft mit der Stockholmbewegung mögen als Einstieg in die Frage dienen, inwieweit "Stockholm" eine Erscheinung der Zeit war oder ob es eine weiter­gehende Wirkung in der Ökumene gegeben hat.
Ein anderer Aspekt dieses Fragekomplexes ist die Durchdringung Deissmanns mit der seine ge­samte Biographie durchziehenden Ambivalenz zwischen seinem Bedürfnis nach "praktisch aus­geübter Religion" und seinem Werdegang sowohl als Philologe und Theo­loge als auch als Kirchenpolitiker.

Deissmann als liberaler Theologe
In den Auseinandersetzungen mit Troeltsch, Weber und anderen Kollegen gerade in der Heidel­berger Zeit wird schnell die theologische Eigenständigkeit Deissmanns deutlich. Die Frage bleibt, welche Einflüsse theologisch auf Deissmann gewirkt haben und wo sich diese in seinem Werk ggf. niedergeschlagen haben.

Deissmann als (Kirchen-)Politiker
Seine Äußerungen zum Schwertsegen und die evangelischen Wochenbriefe zeigen neben seinem Einsatz für die Ökumene sein großes Interesse am politischen Geschehen im und nach dem ersten Weltkrieg. Gerade die Frage nach der deutschen Schuld am Krieg, die er mit Monod über Jahre hinweg erörtert, verdient eine genauere Betrachtung auch in Kontrast zu seinem mög­licherweise altersbedingten Desinteresse an den späten politischen Fragen um eine Posi­tionierung zum Widerstand im Dritten Reich.


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www.solafide.de

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© BJ    Zuletzt geändert am  Freitag, 2. November 2007
 

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